Liebesfälscher
for String Quintet, Harp and 4-channel electronics
for String Quintet, Harp and 4-channel electronics
Fotos: @Gerhard Kühne
Die Aufnahme ist urheberrechtlich geschützt, für einen privaten Zugang bitte mich kotaktieren
SIRENEN: DAS GEFÄHRLICHE AN DER SCHÖNHEIT
Die Sirenen singen.
Ihr Lied ist makellos, rein, unwiderstehlich – eine Stimme, die das Meer
durchschneidet, eine Melodie, die sich in die Gedanken eingräbt. Sie
versprechen Wissen, Vollkommenheit, Erfüllung. Doch ihre Schönheit ist
eine Falle, ihr Gesang ein Lockruf ins Verderben. Ihre Lieder locken in
Katastrophen und verbergen unerfüllte Sehnsüchte. Sie sind das Sinnbild für
täuschende Illusionen und unerreichbare Sehnsüchte.
Odysseus ließ sich an den Mast binden und verstopfte die Ohren seiner
Männer mit Wachs, damit sie nicht hörten, nicht folgten, nicht verloren
gingen. Er erkannte die Gefahr, doch er wollte sie spüren – wollte die
Verführung ertragen, ohne ihr zu erliegen.
Heute ist der Gesang der Sirenen überall. Nicht mehr von fernen Inseln, nicht
mehr zwischen Klippen und stürmischen Wellen, sondern in flackernden
Bildschirmen, in perfekten Gesichtern, in Formeln, die Schönheit berechnen.
Er spricht von ewiger Jugend, von Kontrolle über den eigenen Körper, von
Perfektion durch kleine Korrekturen. Ein Versprechen, das sich nie ganz
einlöst – eine Perfektion, die immer nur einen Eingriff entfernt ist.
In Kierkegaards Werk, "Tagebuch des Verführers," ist Johannes ein Mann,
der mit manipulativer Raffinesse die junge Cordelia verführt. Er liebt nicht
wirklich – er inszeniert die Verführung als ästhetisches Spiel. Es geht nicht
um Nähe, sondern um die perfekte Inszenierung: ein Blick, ein Wort, eine
Geste – alles muss stimmen. Doch sobald er sein Ziel erreicht hat, sobald
Cordelia ihm gehört, bricht die Illusion. Er verlässt sie. Er zerstört sie. Sie war
nie das Ziel – nur die Idee, die Jagd nach dem Vollkommenen.So wiederholt sich die Geschichte.
Wir folgen den Sirenen, aber je näher wir ihnen kommen, desto mehr
verblassen sie. Schönheit wird zur Berechnung, zur Form, zur Kontrolle – und
verliert sich genau in dem Moment, in dem sie erreicht scheint. Denn
Schönheit lebt nicht im Stillstand. Sie atmet im Unvollkommenen, in dem,
was vergeht, in dem, was sich entzieht.
Dieses Konzert ist eine Reflexion – eine kritische Auseinandersetzung mit
Schönheitsidealen, zwischen klassischer Ästhetik und geprägten
Schönheitsvorstellungen.
Performed by Ensemble Resonanz and Teresa Raff - 02.10.2025
Resonanzraum - Hamburg